Vom Risikoprojekt zur Großchance

Vom Risikoprojekt zur Großchance

Oberflächlich betrachtet hatte die WERNER WIRTH Pech: Kaum war eine Niederlassung in der Ukraine startbereit, griff Russland den Nachbarn an. Inhaber Sven Höppner blickt aber längst nach vorne. Sobald der Wiederaufbau beginnt, wird der Hersteller von Verbindungstechnik und Komponentenschutz den Schalter umlegen. Ein Rückzug aus dem kriegsversehrten Land kommt nicht infrage.

Anfangs läuft alles wie geplant. Für ihre neue Niederlassung hat WERNER WIRTH eine 800 Quadratmeter große Produktionsfläche hergerichtet und aufwändig ein Pilotteam ausgebildet. Im Januar 2022 sollen die ersten Steckverbinder, Kontakttechnik-Bauteile etc. den Standort in Dnipro in Richtung Deutschland verlassen. Das Problem: Die Millionenstadt liegt im Osten der Ukraine, und keine 300 Kilometer entfernt zieht Russland Truppen zusammen. »Unser Standortleiter in Dnipro hat noch versucht, uns zu beruhigen: Die drohen ein bisschen und verschwinden dann wieder«, erinnert sich Sven Höppner, Geschäftsführender Gesellschafter der WERNER WIRTH Gruppe. Zwei Tage später erteilt Putin den Marschbefehl. 

Die drohen ein bisschen und verschwinden dann wieder.

 

In der Zentrale in Hamburg mehren sich nach diesem 24. Februar 2022 die Stimmen, das Risikoprojekt Dnipro aufzugeben. Sven Höppner hingegen argumentiert für den Verbleib. »Vor dem Überfall war die Ukraine
politisch auf einem guten Weg«, führt der 53-Jährige aus. Präsident Selenski habe der Korruption nachdrücklich den Kampf angesagt und sein Land klar zur EU ausgerichtet. Die Ukraine sei damit zu einer  vielversprechenden Alternative zu anderen osteuropäischen Ländern geworden, in denen sich der Aufbau von Niederlassungen mitunter kaum noch rechne. »Solche Überlegungen muss ich als Unternehmer anstellen und Chancen nutzen«, sagt Sven Höppner. »Es versteht sich von selbst, dass es daneben immer auch Risiken gibt. Aber mit der komplett irrationalen Entscheidung des Kreml hat selbst nach der Annexion
der Krim niemand rechnen können.« Für den Elektroingenieur steht fest: Die bereits getätigten Investitionen abzuschreiben, wäre eine Kurzschlussreaktion. WERNER WIRTH setzt auf die Widerstandskraft der Ukraine und bleibt, auch wenn Dnipro erst einmal »auf Sparflamme« operiert.

Nach dem Überfall stellt die Firma etliche ukrainische Flüchtlinge am Standort Klaipeda in Litauen ein. Sollten sie nach dem Krieg zurückkehren wollen, steht ihnen dieser Weg offen. In Dnipro nehmen derweil 15 der geplanten 50 bis 80 Angestellten die Arbeit auf. Zwar sind die Bedingungen alles andere als ideal. Aber WERNER WIRTH weiß sich zu helfen. Wenn die Stadt den Strom abstellen muss, springt ein Dieselgenerator ein. Den haben findige Mitarbeiter in Südkorea besorgt. Und regelmäßig bringt ein Lkw Materialien aus Hamburg nach Dnipro und die fertigen Bauteile wieder zurück. Alles unversichert. 

Sven Höppner verbindet mit diesem Engagement zwei Anliegen. Erstens sende die Firma ein Signal: »Wir zahlen Löhne und Steuern. Das ist die beste Spende, die wir einem Land leisten können, das nicht dauerhaft am Tropf der internationalen Gemeinschaft hängen möchte.« Zweitens werde WERNER WIRTH den Standort sofort hochskalieren, sobald Verhandlungen zum Frieden führen. »Statt die alte Infrastruktur einfach wiederherzustellen, könnte die Ukraine nach all der Verwüstung zu den ersten Ländern gehören, die ein CO² freies Stromnetz errichten«, sagt Sven Höppner und fügt mit Bestimmtheit hinzu: »Und wir werden dabei sein.« Mittelfristig könnte sich das Risikoprojekt Dnipro also noch als Großchance erweisen. Das Hamburger Unternehmen ist darauf spezialisiert, elektronische Baugruppen miteinander zu verbinden und sie vor Umwelteinflüssen zu schützen. Ohne solche Produkte und Services ist der Aufbau von Netzen nicht denkbar. 

Die Wirtschaft steht vor Umwälzungen auf die wir uns alle vorbereiten müssen.

 

Sven Höppner betrachtet den Standort in der Ukraine keineswegs nur als verlängerte Werkbank. Vielmehr setze die WERNER WIRTH Gruppe auf den Trend zur lokalen Wertschöpfung. Dnipro werde potenzielle Kunden in Osteuropa mit Lösungen bedienen, die ihren Ursprung zwar im Innovationszentrum in Hamburg haben, vor Ort aber angepasst werden. Dieses Vorgehen betrachtet der Unternehmer als Teil der Strategie, die WERNER WIRTH in einer Welt voller Unsicherheiten resilient machen soll. Dazu gehöre es auch, Expertise in diversen Teilbereichen der Elektronik aufzubauen und das Portfolio um Dienstleistungen zu erweitern, die das Unternehmen noch dichter an seine Kunden rücken. Außerdem stellt WERNER WIRTH eine Vielzahl von Produkten jeweils in einer Stückzahl her, die für Nachahmer in Asien unrentabel wäre. »Die Wirtschaft steht vor Umwälzungen, auf die wir uns alle vorbereiten müssen«, ist Sven Höppner überzeugt. Die Welt teile sich wieder in Blöcke, die Digitalisierung wolle gemanagt werden, überall fehlten Fachkräfte, und in Europa neigten Politik und Gesellschaft dazu, ehrenwerte Ziele mit Verboten durchsetzen zu wollen. »Angesichts dieser Herausforderungen sind unsere Geschäftsrisiken in der Ukraine letztlich überschaubar«, so der Unternehmer.

Zur Person

Sven Hoeppner

hat nicht nur geschäftliche Verbindungen in die Ukraine: Seine Frau stammt aus dem Donbass. Die meisten Familienmitglieder sind vor Putins Krieg ins Ausland geflohen.

 

Das Unternehmen

WERNER WIRTH GRUPPE

Branche: Elektronik
Familienbesitz seit: 1962
Mitarbeiterzahl: rund 250
Umsatz: 26 Millionen Euro

 


 
Partner
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