Vom Risiko, die Heimat zu lieben

Vom Risiko, die Heimat zu lieben

Wer die Schreinerei Rönnefarth in Dernau besucht, trifft auf gut gelaunte Mitarbeiter in einer hellen, aufgeräumten Werkstatt und auf einen Chef, der sich vor Aufträgen kaum retten kann. Dabei schien hier im Sommer 2021 die Welt unterzugehen – wie in Dutzenden anderen Unternehmen im Ahrtal.

15. Juli 2021: Vom Dach der Schreinerei Rönnefarth GmbH & Co. KG blicken Maik Rönnefarth und seine Mitarbeiter fassungslos in die Nacht. Vor ihnen, hinter ihnen, neben ihnen strömt Wasser, wo vorhin noch der Kleintransporter der Firma und die Weinreben des Nachbarn standen. Hinten, im Dorf, ein Flackern. Dort brennt ein Haus. Manchmal tauchen weitere Lichter auf – die Bremslichter treibender Autos? Immerhin: Bevor das erste Sicherheitsfenster der Werkstatt den Fluten krachend nachgab, konnte sich auch der letzte Kollege nach oben retten. Und der Werkstattleiter hat sogar noch den Server mit samt Kabeln aus der Wand gerissen und ins Obergeschoss gewuchtet. Bis hierhin steigt das Wasser nicht: Bei 2,80 Meter ist endlich Schluss.

Ich hab keinen Moment lang ans Aufgeben gedacht.

 

Der Server (»unsere Daten!«) und ein paar Taschen mit wertvollen Utensilien (»Diamantbohrer!«) bilden das Startkapital, mit dem die Schreinerei am Morgen nach der Katastrophe das Projekt Wiederaufbau beginnt. »Ich habe keinen Moment lang ans Aufgeben gedacht«, erinnert sich Maik Rönnefarth. » Als das Wasser auf zwei Meter gesunken war, habe ich meinen Leuten versichert: Wir fangen von vorne an.« Noch vom Dach aus bestellt der Handwerksmeister per Mobiltelefon Trocknermaschinen und einen Bagger. Da sei ihm und den 13 Kollegen, die sich während der Flut im Unternehmen aufhielten, das Ausmaß der Zerstörungen in der Region noch gar nicht bekannt gewesen. Zwar sei man es gewohnt, dass die meistens brav dahinplätschernde Ahr schnell über die Ufer treten könne. »Aber niemand, den ich kenne, war sich auch nur ansatzweise des Risikos bewusst, mit dem wir hier leben«, sagt Rönnefarth.

Niemand, den ich hier kenne, war sich auch nur ansatzweise des Risikos bewusst, mit dem wir hier leben.

 

Daniel Robbel nickt. Der stellvertretende Chefredakteur der Lokalzeitung »Blick aktuell« ist zum Gespräch hinzugestoßen und erzählt vom Nachmittag vor der Flut: »Als Feuerwehrleute mit der Warnung von Haus zu Haus zogen, dass das Wasser dieses Jahr höher steigen könnte, hat mein Vater Geschirrtücher unter die Haustür gestopft. Kurze Zeit später zertrümmerte ein schwimmender Container die ganze Tür.« Angesichts der allgemeinen Ahnungslosigkeit will Daniel Robbel genauso wenig über vermeintlich Schuldige reden wie Maik Rönnefarth. »Bei uns in der Redaktion lag der Fokus von Anfang an auf dem Zusammenhalt der
Menschen und dem Neubeginn in den Unternehmen«, sagt der Journalist, dessen Verlag selbst eine Zweigstelle wiederaufbauen musste.

Mir hat diese uneigennützige Hilfe so viel Mut gegeben, dass ich eine Woche nach der Flut neue Maschinen bestellt habe.«

 

Die ersten, die der Schreinerei am sonnigen 16. Juli zu Hilfe kommen, sind die Mitarbeiter, die den Vorabend andernorts verbracht haben. Sie beginnen, den Schlamm wegzuschaufeln, bevor er betonhart wird. »Da hatte ich schon das erste Mal feuchte Augen«, erinnert sich Maik Rönnefarth. Kurz darauf tauchen vier Kleinbusse mit Schwimmlehrern einer Schwimmschule auf, die Maik Rönnefarths Firma gebaut hat. »Besonders eine junge Frau hat mit einer unfassbaren Ausdauer Schubkarren voller Schutt geschoben.« Der Chef der Schwimmschule bringt eine Wagenladung Lebensmittel mit. »Dafür hat der Supermarktleiter sofort die Rechnung storniert, als er erfuhr, wohin die Reise geht.« Weitere Helfer kommen, unter anderem der Karnevalsverein Blaue Funken aus Köln und ein Flugunternehmer mit Werkzeug im Wert von mehreren Tausend Euro. Auf der einen Seite des Hofs schrubben ein Architekt und ein Ingenieur (»pro Arbeitsstunde normalerweise 200 Euro«) Bretter mit der Wurzelbürste. Auf der anderen bereitet der Koch eines Hotels gratis Essen zu – in einer mobilen Küche, die der Hotelier geschickt hat. »Mir hat diese uneigennützige Hilfe so viel Mut gegeben, dass ich eine Woche nach der Flut neue Maschinen bestellt habe«, sagt Maik Rönnefarth. »Die Lieferanten sind dabei voll ins Risiko gegangen: Ich konnte noch keine Zahlungszusage der Versicherung vorlegen und hatte auch nicht genug eigene Rücklagen für diese Investition.« Schon im November 2021 öffnet die Schreinerei Rönnefarth wieder und ihrem Chef zufolge macht sie optisch heute sogar mehr her als vor der Flut.

Maik gehört zu den Unternehmern hier im Ahrtal, die anderen ein Beispiel gegeben haben.

 

»Maik gehört zu den Unternehmern hier im Ahrtal, die anderen ein Beispiel gegeben haben«, sagt Daniel Robbel anerkennend. Der Lokaljournalist kennt Dutzende Gewerbetreibende, die dem Impuls widerstanden, den Betrieb zu schließen. Gern erzählt er beispielsweise vom Frisörmeister Hammer in Bad Neuenahr, der im Morast seines verwüsteten Salons den Meisterbrief seines Vaters fand – unversehrt. »Dieser emotionale Moment reichte, um ihn umzustimmen.« Hätten laut einer Umfrage kurz nach der Flut 40 Prozent der Unternehmer Bad Neuenahrs aufgeben wollen, seien es wenige Wochen später nur noch 20 Prozent gewesen.

Bei uns in der Redaktion lag der Fokus von Anfang an auf dem Zusammenhalt der Menschen und dem Neubeginn in den Unternehmen.

 

Maik Rönefarth wundert sich ganz und gar nicht über die Bereitschaft auch anderer Unternehmer, noch einmal von vorne anzufangen. Zwar gebe es neben einer Vielzahl einzelner Maßnahmen noch keinen Masterplan, um die Flutrisiken im Ahrtal künftig zu minimieren. »Aber was hier über Jahrhunderte gewachsen ist, die Gemeinden voller Fachwerkhäuser, die Weinberge, die im Herbst aussehen wie der Indian Summer in Kanada, die Atmosphäre, in der jeder jeden kennt – das lässt man nicht einfach so zurück. Das ist Heimat.« Nur in einer Beziehung plagt den Schreiner das schlechte Gewissen. »Ich habe vor lauter Plackerei versäumt, wie mein erstes Kind krabbeln gelernt hat.« Aber auch dafür gibt es eine zweite Chance: Maik Rönnefarth ist im März erneut Vater geworden.


 
Partner
Logo Deutsche BankLogo KPMGLogo FBNLogo EFB

Die Stimme der Familienunternehmer