Schwarze Schwäne, smarte Sensoren

Schwarze Schwäne, smarte Sensoren

Als 1482 erstmals eine „Kupferhütte auf der Nanzenbach“ urkundlich erwähnt wurde, träumte Kolumbus vage vom neuen Seeweg nach Indien. Seitdem sind mehr als fünf Jahrhunderte voller Kriege, Revolutionen und Technologiesprünge vergangen und das Nachfolgeunternehmen der Hütte baut unter anderem Sensormodule für Elektroautos.

Die Isabellenhütte ist der empirische Beleg dafür, dass die Wirtschaft mit dem Unberechenbaren rechnen muss.

 

Als CFO verantwortet Dr. Felix Heusler die Bereiche Finanzen, IT und Personal der Isabellenhütte Heusler GmbH & Co. KG, eines mittelständischen Betriebes mit rund 1.000 Mitarbeitern. Dennoch kann man sich den 49-Jährigen gut mit einem Einkaufswagen im Supermarkt vorstellen. Zurückhaltend und bescheiden beantwortet der Co-Geschäftsführer Fragen zur Geschichte des Dillenburger Unternehmens und seiner Familie, die hier seit acht Generationen das Sagen hat. „Die Isabellenhütte ist der empirische Beleg dafür, dass die Wirtschaft mit dem Unberechenbaren rechnen muss“, sagt er. „Entscheidend ist, wie die Reaktion auf solche Schwarzen Schwäne  ausfällt.

Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert einen Schwarzen Schwan als „Ereignis, das völlig unwahrscheinlich ist, gänzlich überraschend eintritt und (fast) alle erstaunt.“ Eher fassungslos als erstaunt erlebte beispielsweise der deutsche Kupferbergbau um 1870, wie ihm die Existenzgrundlage entglitt. In Südamerika wurden Erze gewonnen, die rund zehn Mal so viel Kuper enthielten wie das heimische Gestein. Zugleich erlaubten es Fortschritte in der Seefahrt, Metalle preiswert um den halben Globus zu schiffen. Niemand kaufte mehr freiwillig hessisches Kupfer. Die Isabellenhütte hingegen war an Abnahmeverträge geknebelt und stand deshalb vor dem Ruin – gemeinsam mit der Familie Heusler, in deren Besitz sie sich seit 1827 befand. 

Wir sind wahrscheinlich das einzige Unternehmen weltweit, das Kupfer und Nickel verhüttet und Drähte zieht und das gleichzeitig Präzisions- und Leistungswiderstände sowie Präzisionsmesstechnik herstellt.

 

Mitten in der Liquidation übernahm der jüngere Bruder des damaligen Eigentümers das Ruder und schwang sich zu einem technologischen Revolutionär auf: Der geheime Bergrat Conrad Heusler entwickelte eine neuartige Manganbronze. Die Legierung war seewasserbeständig und fand als Schraubenwerkstoff Zuspruch bei Reedereien und Werften. Außerdem erhielten Eisenbahnen stabilere Gleitbuchsen. Nicht zuletzt revolutionierten Conrad Heuslers Legierungen die Elektroindustrie. Unter der Bezeichnung Manganin lieferte die Isabellenhütte ab 1889 Werkstoffe für elektrische Präzisionswiderstände. Unterm Strich also verschaffte der Schwarze Schwan der Firma Heusler so schwarze Zahlen wie nie zuvor. Noch heute dient der Werkstoff im Unternehmen als ein wesentlicher Produktbaustein. 

Der Rundgang mit Felix Heusler über das Gelände ähnelt einer Führung durch einen historischen Stadtkern: Alt und Neu verschmelzen zu einem unverwechselbaren Ensemble. „Wir sind wahrscheinlich das einzige Unternehmen weltweit, das Kupfer und Nickel verhüttet und Drähte zieht und das gleichzeitig Präzisions- und Leistungswiderstände sowie Präzisionsmesstechnik herstellt.“ Tatsächlich liegen zwischen einem Ofen, in dem glühende Schmelze blubbert, und einer Maschine, die am Tag 200.000 Präzisionswiderstände auswirft, keine 100 Meter. Einige dieser passiven Widerstände, die Felix Heusler als „noch dumm“ beschreibt, veredelt die Isabellenhütte zu aktiven, smarten Sensoren unter anderem für Elektroautos und Ladesäulen. Auch in Smart Grids kommt Hightech aus Dillenburg zum Einsatz. „In dezentralen Stromnetzen muss präzise messbar sein, was der eine einspeist und der andere entnimmt“, erläutert der Unternehmer.

Felix Heusler hätte sich durchaus vorstellen können, beruflich andere Wege zu gehen als seine Vorfahren. „Als ich acht Jahre alt war, schärfte mir mein Großvater ein: Junge, du musst das hier übernehmen. Bei der Studienwahl hielt ich mir dann allerdings mehrere Optionen offen.“ Felix Heusler entschied sich für Wirtschaftsingenieurwesen und schrieb seine Doktorarbeit über Supply Chain Management. Auf dieser Basis hätte er anderswo anheuern können, war aber auch fürs Familienunternehmen vorbereitet. „Wäre ich Jurist oder Betriebswirt geworden, hätten mir die Ingenieure der Isabellenhütte mit Handpuppen vorspielen müssen, womit meine eigene Familie seit 200 Jahren ihr Geld verdient.“ 

Apropos Handpuppen. Unter anderem mit Kinderspielzeug reagierte die Isabellenhütte auf einen weiteren Schwarzen Schwan der Firmengeschichte: 1945 durfte das Unternehmen die Produktion seiner Legierungen, die bereits der Krieg unterbunden hatte, zunächst nicht wieder aufnehmen. Außerdem verlor die Isabellenhütte einen Großteil ihrer Maschinen und Metallreserven. Um wieder einen gewissen Kapitalstock aufzubauen, verlegten sich die Brüder Ernst und Dr. Otto Heusler auf Wägelchen, Tiere und Figuren aus Holz. Parallel dazu ließen sie die Eisengießerei ausbauen und Obstpressen sowie Ackerwalzen herstellen. Damit entlohnten sie auch ihre Mitarbeiter, bis wieder Gehälter möglich waren. 

Mehrfach stand die Isabellenhütte in den fünf Jahrhunderten ihrer Existenz am Abgrund. Um 1500 wütete die Pest, 1618 begann ein Krieg, der unvorstellbare 30 Jahre dauern sollte, und im 20. Jahrhundert stellten zwei Weltkriege alle bisherigen Disruptionen in den Schatten. „Angesichts einer solchen Geschichte wissen wir: Zwar treffen die Schwarzen Schwäne der frühen 2020er-Jahre – Corona und der Ukraine-Krieg – auch uns“, konstatiert Felix Heusler. „Wir müssen und werden aber Lösungen finden, mit ihnen umzugehen.“

 

Zur Person

Dr. Felix Heusler

ist Ingenieur. Sein liebstes Hobby – stundenlanges Rasenmähen – beschreibt er standesgemäß als „Defragmentierung des Gehirns“.

 

Das Unternehmen

ISABELLENHÜTTE HEUSLER GmbH & Co. KG

Branche: Metallurgie, Elektrotechnik, Sensorik

Gründungsjahr: 1482

Mitarbeiter: rund 1.000

Umsatz: ca. 170 Millionen Euro

 


 
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