Erfolgreich aus der Zeit gefallen

Erfolgreich aus der Zeit gefallen

Ein Großteil der Zeit, die es zur Herstellung einer Kirchenglocke bedarf, vergeht mit Warten. Fritz Georg Rincker und seine Angestellten im hessischen Sinn füllen diese Zeit, indem sie bspw. im 3D-Drucker die Klassiker eines Süßwarenherstellers nachbilden.

 

Patsch. Schlurf. Patsch. In einer Werkhalle der Glocken- und Kunstgießerei Rincker trägt ein Mitarbeiter Lehm auf eine Glockenform auf. Anschließend schiebt er die Holzschablone, die sich an einer Spindel um die Form führen lässt, über das feuchte Material. „Sehen Sie den Abstand zwischen Schablone und Modell? Der wird Stück für Stück geschlossen,“ sagt Co-Geschäftsführer Fritz Georg Rincker. Während er erklärt, wieso allein dieser Arbeitsschritt Wochen dauert, klingelt sein Handy. Oder besser: Es läutet, denn der Klingelton ist eine Glocke. Der Unternehmer spricht kurz mit einer seiner beiden Töchter, legt auf und fragt: „Wo waren wir?“ 

Beim Lehm. Noch gut 400 Jahre nach dem ersten nachweisbaren Glockengießer Rincker verwendet die Firma das besonders reine Tongemisch der Region. Und wie jener Meister Hans setzt auch der Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-Enkel auf Pflanzenfasern, um es zu binden, auf Rindertalg, um die Schichten zu trennen, und auf Glockenbronze mit rund 22 Prozent Zinnanteil. „Unser Handwerk hat sich kaum verändert“, sagt Fritz Georg Rincker. Bei der streng geheimen Planung der Schablonen kommen Zirkel und Bleistift zum Einsatz, künftige Glockeninschriften werden aus Wachs vormodelliert, Lehmschicht um Lehmschicht muss feuertrocknen und nach dem Guss braucht die 1.100 Grad heiße Bronze etwa drei Tage, um abzukühlen. Prozesse beschleunigen? Nicht beim Guss hochwertiger Glocken. „Würde der alte Hans Rincker heute dem Grab entsteigen, könnte er sofort bei uns anfangen.“ 

Das Kontrastprogramm zu so viel Zeitlosigkeit findet im Nebenraum statt. Hier stehen mehrere 3D-Drucker, unter anderem das größte derzeit erhältliche Modell. Damit hat die Firma Rincker beispielsweise Kunststoff-Abbilder von Produkten eines Süßwarenherstellers erzeugt, die nun als Skulpturen vor Supermärkten stehen. Momentan verhandelt Fritz Georg Rincker mit einem Naturkundemuseum, das lebensechte Neandertaler ausstellen möchte. „Die 3D-Technologie macht Feinheiten möglich, die früher undenkbar gewesen wären“, so der Firmen-Chef. „Sogar Holz können wir täuschend imitieren.“  

Nicht mit ihren 3D-Druckern, wohl aber vermehrt mit 3D-Plänen arbeitet die Gießerei auch im Kunstguss. So etwa bei der Produktion einer Elvis-Statue. Die Auftraggeber wünschten die penible Kopie eines Fotos, das den Sänger als US-Soldaten in Bad Nauheim zeigt. „So etwas gelingt nicht jeder Gießerei“, sagt Fritz Georg Rincker. „Hier kommen uns Erfahrung und Fingerspitzengefühl zugute.“ Er selbst höre zwar am liebsten House, so der 57-Jährige. Aber auch er freue sich darüber, dass der King of Rock and Roll sechs Jahrzehnte nach seinem Militärdienst wieder an einem Brückengeländer über dem Flüsschen Usa lehnt.

Ungewöhnliche Aufträge wie dieser sind für die Hessen keine Seltenheit. So produziert der ältere der beiden Söhne Fritz Georg Rinckers, Christian Rincker, beispielsweise Sitzungsglocken sowie Messingschellen für rheinische Narren. „Wer im Karneval etwas auf sich hält, gibt sich nicht mit Massenware zufrieden“, sagt der 28-jährige. Unter dem Dach der Rincker GmbH leitet Christian Rincker eine eigene Firma mit zwei Angestellten. Zur Freude des Seniors hat er sich entschieden, die Gießerei später zu übernehmen – in 14. Generation. Der nötige Anstoß: zu viel Zeit. „Ich wollte als Berufssoldat zur Marine, musste nach der Schule aber ein ganzes Jahr überbrücken“, erzählt Christian Rincker. „Diese Zeit habe ich als Aushilfe im Betrieb verbracht und gemerkt, dass mir die Arbeit gefällt.“ Also habe er sich zum Metall- und Glockengießer ausbilden lassen. 

Der nächste Guss steht an. Christian Rincker schreitet von seiner Werkstatt in die Nachbarhalle und greift zu einem Schutzhelm mit Blende. „Mit Hektik bringt man es in unserem Metier nicht weit“, kommentiert Vater Fritz Georg. Egal ob beim Modellieren von Wachs, beim Aufbau der Modellglocke oder beim Guss: Gefragt seien Geduld und eine ruhige Hand. Gemeinsam mit zwei Kollegen holt Christian Rincker einen Tiegel aus dem Schmelzofen. Flammen zucken. Gleißend ergießt sich flüssige Bronze in die Form. Gegossen wird der Schweif eines lebensgroßen Pferdes für ein Gestüt in Norwegen. Am Ende eines langwierigen Prozesses wird einmal mehr eine Skulptur stehen, die die Zeiten überdauert. Wie eine Kirchenglocke – und wie die Gießerei Rincker in Sinn. 

 


 
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