Aus dem Keller in die Welt

Aus dem Keller in die Welt

Eigentlich wollte er den Betrieb seines Vaters nie übernehmen. Im Alter von 22 Jahren tat Stephan Köhler es doch. Seit 1990 steht er an der Spitze der Tracoe medical GmbH. Seitdem ist aus der winzigen Firma ein deutscher Marktführer mit Auslandstochter und über 200 Mitarbeitern geworden. Und es geht weiter.

Mit Mut und Vertrauen gegen den Strom

An einem trüben Januarmorgen sprüht Jasmin Altenhofen vor guter Laune. Den Weg aus Mainz zum Unternehmenssitz im nahegelegenen Nieder-Olm fährt sie heute mit dem Firmenwagen. Stephan Köhler hat ihr das Auto überlassen. Auf ihn hält sie große Stücke. „Er ist immer aufgeschlossen für neue Ideen, wenn er etwas gut findet, setzt er es sofort in die Tat um“, sagt die Assistentin der Geschäftsführung. Die Mitarbeiter seien dem Geschäftsführenden Gesellschafter der Tracoe medical GmbH enorm wichtig. „Er will, dass es uns gut geht, dass wir Freude an unserer Arbeit haben“, berichtet Altenhofen. Fortbildungskurse seien selbstverständlich, ebenso wie das frische Obst, das Köhler täglich für alle bereitstellt. „Und er hört uns zu“, sagt Altenhofen. Dann stoppt sie den Wagen. Das graue Januarwetter bleibt vor der Tür. In der Eingangshalle der Tracoe wechseln Lampen ständig ihre Farbe. Ein Zitronengelb verwandelt sich in ein kräftiges Orange, das bald ins Grüne übergeht. „Ja, die Tracoe ist bunt“, sagt eine tiefe Stimme. Ein jungenhaftes Lachen, ein fester Händedruck, dunkler Anzug, Hemd ohne Krawatte – Stephan Köhler ist da. „Die Farben stehen für unsere Produktlinien“, erklärt er. Das helle Grün etwa steht für „mini“, Tracheostomiekanülen für Kinder und Neugeborene. Das Blau kennzeichnet transparente Kunststoffkanülen der Linie „comfort“, die unter anderem in der Rehabilitation verwendet werden.

Umbau auf 6.000 Quadratmetern

Kanülen für Tracheostomie und Laryngektomie – damit hat vor mehr als 55 Jahren alles angefangen. Und um medizinische Produkte für Patienten mit Luftröhrenschnitten oder Kehlkopfoperationen dreht sich auch heute noch alles. Ansonsten verbindet die „Kellerfirma“, wie Stephan Köhler den Mini-Betrieb seines Großvaters Rudolf nennt, und die heutige Tracoe kaum noch etwas. Seit der Enkel des Kanülen-Erfinders 1990 die Firma übernommen hat, ist der Umsatz von 1,8 Millionen Mark auf 20 Millionen Euro gestiegen. Mehr als 200 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. Aus einem einzigen Produkt sind neun Produktlinien entstanden, aus einem Mini-Betrieb wurde ein deutscher Marktführer. 1990 erzielte die Tracoe 70 Prozent ihres Umsatzes in Deutschland. Heute exportiert das Unternehmen seine Produkte in 86 Länder, hat eine Auslandstochter in den Niederlanden sowie Vertriebsniederlassungen in Benelux. Die Fläche, auf der sich die Tracoe 2015 erstreckt, beträgt 6.000 Quadratmeter. „Und auf diesen 6.000 Quadratmetern bauen wir kräftig um“, sagt Firmenchef Köhler. Auf dem Weg in sein Büro zeigt er einige Ergebnisse. Eine groß- zügige Terrasse haben die Mitarbeiter bekommen. Die moderne Kantine, in den bunten Farben des Unternehmens gehalten, öffnet bald. „Dort werde ich genauso essen wie die Kollegen aus der Fertigung“, erklärt der Chef. Von Hierarchien hält er nichts. Natürlich seien er und sein Schwager, Dr. Thomas Jurisch, Geschäftsführer, träfen grundlegende Entscheidungen und trügen die Verantwortung. Aber bei der Tracoe seien alle Teamplayer. „Ganz so war das nicht immer“, sagt Köhler. Und während er auf einem Sessel in seinem Büro Platz nimmt, beginnt er zu erzählen.

Erfinder mit wenig Geschäftssinn

Es ist der Sommer des Jahres 1955: An der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz leitet der Tüftler Rudolf Köhler die Messwerkstatt des Physiologischen Instituts. Klinikärzte berichten ihm von einem Patienten, bei dem der Kehlkopf entfernt und die Haut mit der Luftröhre, der Trachea, vernäht worden ist. Dieses sogenannte Tracheostoma wird durch ein Metallröhrchen offen gehalten, damit der Patient atmen kann. Das Material verursacht jedoch Probleme. Die Ärzte fragen Köhler, ob er eine weiche Kanüle „basteln“ könne, die zudem Temperaturen nicht leitet. 1958 gelingt es ihm, eine Kanüle aus Polyvinylchlorid (PVC) zu entwickeln – die Geburtsstunde der Tracoe. Rudolf Köhler – viel mehr Erfinder als Geschäftsmann – fertigt nach Dienstschluss Kanülen auf Bestellung. „Mein Großvater hat zum Glück ein Patent auf sein Produkt angemeldet“, sagt sein Enkel heute. Ansonsten interessierte ihn die kaufmännische Seite seiner Erfindung wenig. Um 1960 lernt er den Mediziner Franz Waldeck kennen, mit dem ihn bald eine enge Freundschaft und Zusammenarbeit verbindet.

Mein Großvater hat zum Glück ein Patent auf sein Produkt angemeldet.

 
Als Rudolf Köhler 1972 stirbt, überführen sein Sohn Wolfgang und die Familie Waldeck die Firma in die Rechtsform der GmbH. Die Geschäftspartner nennen sie Tracoe, ein Mix aus Trachea und Köhler. Sitz der GmbH ist das hessische Karben. Waldeck und Köhler führen das Unternehmen konservativ. Zwar gewinnen sie neue Kunden, haben jedoch wenige Mitarbeiter, kaum Fixkosten, investieren nicht in den Vertrieb. Das Unternehmen entwickelt sich – aber langsam. „So war die Tracoe auch, als ich mich 1990 entschloss einzusteigen“, erinnert sich Stephan Köhler. Es war das Jahr, in dem sein Vater starb und der 22-jährige Sohn vor der Frage stand: Banklehre fortsetzen oder Familienunternehmen übernehmen? „Mein Vater hatte mich nie dazu gedrängt, die Firma zu übernehmen“, sagt Köhler. Er selbst hatte das eigentlich auch nicht vor. Und Franz Waldeck zweifelte daran, dass der Spross seines Geschäftspartners das Zeug zum Unternehmer hatte. Doch Stephan Köhler packte an. Er verlagerte den Hauptsitz der Firma nach Frankfurt, wo er parallel zur Geschäftsführung seine Ausbildung zum Bankkaufmann absolvierte, später BWL studierte. „Für mich war das Unternehmen wie die goldene Taschenuhr meines Großvaters“, erzählt Köhler. Er wollte es nicht verlieren, auch wenn das Tag- und Nachtschichten bedeutete. Schließlich kannte sich der 22-Jährige zunächst weder mit den Kanülen aus, noch wusste er, wie man eine Firma leitet. Doch er lernte schnell, knüpfte Kontakte zu Ärzten, schaute sich Operationen an, besuchte Messen.

Qualität statt Trends

„Professor Waldeck und ich wollten aus der Tracoe ein Unternehmen machen, das eine Zukunft hat“, sagt Köhler heute. Dafür investierten wir in den ersten Jahren in die Entwicklung neuer Produkte. „Bis mein Vater starb, gab es ja nur die Kanüle, die mein Großvater erfunden hatte“, erklärt der Firmenchef. Parallel zur Erweiterung des Sortiments erschloss Köhler neue Märkte, baute den Vertrieb aus. Ende der Neunzigerjahre exportierte die Tracoe bereits in 35 Länder statt wie zu Beginn des Jahrzehnts in sechs. Immer wieder schwammen Köhler und Waldeck gegen den Strom: „Trends wie Outsourcing oder Verlagerung der Produktion in Billigländer haben wir nicht mitgemacht“, erzählt Stephan Köhler. Stattdessen setzten sie auf Qualität – mit Erfolg. 1999 bezieht die Tracoe ihre neuen Produktionsstätten in Nieder-Olm. 2004 beschließt Köhler, dass es Zeit für einen eigenen Vertrieb ist, nächster Meilenstein ist 2010 der Erwerb der ersten Auslandstochter.  „Unser vorerst letzter Quantensprung ist der Umbau des Firmensitzes in Nieder-Olm“, sagt der TracoeChef. Als Franz Waldeck 2013 starb, schloss Köhler das Verwaltungsgebäude in Frankfurt und vereinte „die beiden Tracoes“, wie er es nennt, zu einer. Damit kehrte auch eine neue Art der Führung ein. „Mir ist es wichtig, die Mitarbeiter stärker einzubinden“, sagt Köhler. Das ist kein Lippenbekenntnis. Für die Planung der nagelneuen Fließfertigung etwa wurden die Mitarbeiter aus der Produktion zu allen Arbeitsschritten und zu ihren Bedürfnissen befragt. So etwas motiviert. Köhler selbst ist auch nach 25 Jahren noch motiviert, möchte sein Unternehmen zum Weltmarktführer machen, wünscht sich, dass seine Kinder es eines Tages übernehmen. „Sophia ist zwölf, Sebastian zehn Jahre alt“, schmunzelt er. „Noch wollen beide unbedingt in die Tracoe einsteigen.“ Seinen eigenen Einstieg hat Köhler nie bereut. „Am Anfang saß ich manchmal in meinem Frankfurter Büro und habe mich gefragt, was ein Unternehmer eigentlich tut und braucht.“ Eines Tages habe der Senior Partner der Rechtsanwaltskanzlei seiner Mutter ihm etwas gesagt, was er nie mehr vergessen habe: „Das Wichtigste, was ein Unternehmer braucht, sind Mut und Vertrauen.“ „Dass dieser Satz stimmt, hat Stephan Köhler ja wohl bewiesen“, findet Jasmin Altenhofen. Und sie steuert den Firmenwagen gut gelaunt zurück in Richtung Mainz.  

Kurz-Biografie

Stephan Köhler

wird 1967 in Midland/Michigan (USA) geboren. Nach dem Abitur beginnt er eine Lehre als Bankkaufmann bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main. Nach dem Tod seines Vaters steigt er 1990 in die TRACOE GmbH ein. Parallel zur Geschäftsführung beendet Köhler seine Banklehre und studiert erfolgreich Betriebswirtschaft. Bis heute ist er gemeinsam mit Dr. Thomas Jurisch Geschäftsführender Gesellschafter der TRACOE medical GmbH mit Sitz in Nieder-Olm, Rheinland-Pfalz. Köhler ist Mitglied im Rotary Club Frankfurt/Main und Sprecher des Fachbereichs Tracheostomie und Laryngektomie beim Bundesverband Medizintechnik e.V. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

 

Unternehmen

TRACOE medical GmbH

Geschäftsführender Gesellschafter: Stephan Köhler
Sitz: Nieder-Olm (Rheinland-Pfalz)
Gegründet: 1972 in Karben (Hessen)
Branche: Medizintechnik
Mitarbeiter: rund 200
Umsatz 2013: 20 Millionen Euro

 

 
Partner
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