Die Grenzen des Universums

Die Grenzen des Universums

Eine Reise an die Grenzen des Universums ist auch eine Reise an die Grenze des Vorstellbaren. Fangen wir mit einer einfachen Frage an: Was bedeuten eigentlich „Grenzen“ in der Astronomie?

Zum einen gibt es da die Grenze der Sichtbarkeit am Tag- oder Nachthimmel. Planeten, Sterne und selten auch Kometen, die ausreichend hell und nicht zu weit von uns entfernt sind, können wir mit dem bloßen Auge sehen. So sehen wir zum Beispiel die Sonne als einzigen Stern unseres Sonnensystems, sowie die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn – und natürlich den Erdmond – mit dem bloßen Auge. Aber schon die äußeren Planeten des Sonnensystems Uranus und Neptun kann man nur mit dem Fernrohr betrachten.


Ganz bestimmte, noch viel weiter entfernte Objekte hingegen kann man sehr wohl problemlos mit dem bloßen Auge sehen: die Sterne. Sie leuchten, anders als die Planeten, von selbst und werden nicht nur angestrahlt. Sterne wandeln ihre Masse mittels Kernfusion in reine Energie um. Und dabei wird so ungeheuer viel Licht erzeugt, dass wir das über Billiarden von Kilometern weit sehen können.
Das bringt uns zu den sichtbaren Grenzen des Universums. In Kilometern bemisst man diese am besten nicht, dafür werden die Zahlen zu groß. Verwenden wir lieber die Lichtgeschwindigkeit als Maßstab. Zur Veranschaulichung stellen wir uns vor, dass das Licht vom Mond zu uns auf der Erde etwas mehr als eine Sekunde braucht. Der Mond ist also etwa eine Lichtsekunde von uns entfernt und wir sehen ihn, wie er vor einer Sekunde war. Zum Vergleich, die Apollo-Astronauten haben ungefähr drei Tage zum Mond benötigt. Die Sonne, der einzige Stern unseres Sonnensystems, ist achteinhalb Lichtminuten entfernt, also etwa 500-mal so weit wie der Mond. Und der äußerste Planet des Sonnensystems, Neptun, ist ganze vier Lichtstunden von uns entfernt. Unsere Raumsonden benötigen bis dorthin schon ungefähr zehn Jahre. Die Grenze des Sonnensystems haben wir Menschen auch schon überschritten, als die Sonde Voyager 1 im Jahre 2012 den Einflussbereich der Sonne verließ. Heute ist Voyager 1 seit 46 Jahren unterwegs und gerade mal einen Lichttag von uns entfernt.
Unser dichtester Nachbarstern, Proxima Centauri, ist ganze vier Lichtjahre entfernt. Mit den aktuell schnellsten Raumschiffen würde eine Reise dahin rund 75.000 Jahre dauern. Alle anderen am Himmel sichtbaren Sterne sind noch viel weiter entfernt. Von der anderen Seite unserer Galaxie (der „Milchstraße“) benötigt das Licht der Sterne ganze 100.000 Jahre zu uns. Diese Sterne können wir mit dem bloßen Auge aber nicht mehr sehen, weil sie aus der gewaltigen Entfernung zu leuchtschwach erscheinen. 


Das am weitesten entfernte Objekt am Nachthimmel, das wir gerade noch mit bloßem Auge sehen können, ist die Andromeda-Galaxie. Zwar ist jeder einzelne Stern in dieser Galaxie unsichtbar für uns, weil sie mit zwei Millionen Lichtjahren zu weit von uns entfernt ist. Doch die Lichtsumme ihrer etwa 1000 Milliarden Sterne ist so groß, dass unsere Nachbargalaxie als milchiger Fleck am Nachthimmel sichtbar ist. Das Licht, das wir heute von ihr sehen, wurde ausgesandt, als es die menschliche Spezies noch gar nicht gab. Wir verstehen nun also, dass man in der Astronomie automatisch immer weiter in die Vergangenheit des Universums schaut, je weiter entfernt ein Objekt ist.


Während für das unbewaffnete menschliche Auge also in zwei Millionen Lichtjahren Entfernung Schluss ist, fängt für das größte Weltraumteleskop der Menschheit, das James Webb Space Telescope, dort der Spaß erst richtig an. Es wurde mit der Absicht gebaut, so weit wie möglich ins Weltall hinauszuschauen – und damit so weit wie möglich in die Vergangenheit. Im Juli 2022 gelang dann auch die tiefste Aufnahme, die die Menschheit bisher im sogenannten infraroten Licht erreicht hat. Infrarotes Licht können Menschen eigentlich gar nicht sehen, daher ist das Bild in Wirklichkeit eine Art Falschfarbenaufnahme. Es zeigt einen Himmelsausschnitt, der so winzig ist wie ein Sandkorn, das ungefähr auf Armeslänge entfernt gehalten wird. Zu sehen ist in der Mitte des Bildes ein Galaxienhaufen aus hauptsächlich weißen, leicht gelblichen Galaxien. Das Licht, das uns von diesen Galaxien erreicht, ist seit 4,6 Milliarden Jahren zu uns unterwegs, also seit der Zeit, als gerade das Sonnensystem samt unseres Heimatplaneten entstand.


Das Aberwitzige an dieser Aufnahme jedoch sind die verbogenen, orangefarbenen Gebilde, die sich annähernd kreisförmig um den Galaxienhaufen im Zentrum zu orientieren scheinen. Dies sind auch Galaxien, die aber in Wirklichkeit gar nichts mit dem Galaxienhaufen im Vordergrund zu tun haben, sondern noch viel weiter im Hintergrund liegen. Diese verzerrten, rötlichen Hintergrundobjekt werden überhaupt nur sichtbar, weil die Gesamtmasse des Galaxienhaufens im Vordergrund so gewaltig ist, dass dieser den Raum krümmt. Die Krümmung des Raumes bewirkt eine Bündelung des Lichts der Hintergrundobjekte, weswegen man von dem Galaxienhaufen im Vordergrund auch als Gravitationslinse spricht. Diesen Effekt hat erstmals Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie 1915 vorhergesagt. Der Gravitationslinseneffekt ermöglicht uns hier einen Blick auf Objekte, deren Licht seit 13,1 Milliarden Jahren zu uns unterwegs ist. Das sind gerade mal 600 Millionen Jahre weniger, als das Universum alt ist.


Doch auch damit haben wir die räumlichen Grenzen des Universums noch lange nicht erreicht. Denn wie man in der Astronomie seit etwa hundert Jahren weiß, steht das Universum nicht still, sondern es dehnt sich aus und zwar überall im Universum mit der gleichen Expansionsrate. Und je weiter zwei Objekte voneinander entfernt sind, desto schneller entfernen sie sich auf Grund der kosmischen Expansion voneinander. Im Bruchteil der ersten Sekunde nach dem Urknall hat sich das Universum sogar so schnell ausgedehnt, dass es bereits fast so groß war, wie es heute ist. Nach dieser anfänglichen, sogenannten inflationären Expansion, hat sich die Ausdehnung zunächst stark verlangsamt, während sie heute wieder zunimmt. Die Gründe dafür verstehen wir bis heute noch nicht.
Was man aber weiß, ist, dass das Universum größer ist, als die Entfernung, die das Licht seit der Entstehung des Universums zurücklegen konnte. Mit anderen Worten: es gibt hinter den entferntesten Objekten, die wir jemals sehen können, noch viel mehr zu sehen. Aber das Licht von dort, wird uns nie erreichen. Wir werden also die räumlichen Grenzen des Universums prinzipiell niemals sehen können, geschweige denn erreichen.

Zur Person

Dr. René Heller

arbeitet am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung als Wissenschaftler und Führungskraft für die PLATO-Mission der Europäischen Weltraumagentur (ESA). Sein Fachgebiet sind die extrasolaren Planeten, von denen er bereits gut zwei Dutzend gefunden hat. Als Privatdozent gibt er Vorlesungen über Astrophysik an der Georg-August-Universität Göttingen.

 


 
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